Spaziert mit mir zum Ghetto in Venedig

… und zwar abseits der Massen!

Wir beginnen wie immer vor dem Bahnhof Santa Lucia. Bei diesem Besuch, war das Erste, was ich gesehen habe, das Gesicht von George Clooney. OK, nicht in Persona, aber dieses Lächeln ist auch vom Großplakat nicht schlecht☺

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr aus dem Bahnhofsgebäude tretet und den Blick über den Vorplatz, den Canal Grande schweifen lasst? Bei mir gehen dann automatisch die Mundwinkel nach oben und egal wie viele Menschen sich tummeln, egal wie das Wetter ist:

Ich bin mir sicher, dass ich die nächsten Stunden HAPPY sein werde ♥

Diesmal hatte ich vor, zuerst nach links, vorbei an der Chiesa di Santa Maria di Nazareth und der Ponte degli Scalzi, zu gehen. Ich rate euch jedoch NICHT weiter durch die Rio Terà Lista di Spagna zu gehen, wenn ihr Touristen ausweichen wollt.

Ich bin durch eine kleine Seitengasse mitten durch ein relativ modernes Wohngebiet in Richtung Ponte di Tre Archi gegangen. Tatsächlich muss ich zugeben, dass ich sehr überrascht war, denn ich hatte nur diese typisch alten Bauten erwartet und hier war alles ganz anders.

Doch kaum war ich wieder beim nächsten Kanal – und es fühlt sich gleich wieder „typisch venezianisch“ an. Diesen Unterschied hatte ich nicht erwartet!

Rund um die Ponte di Tre Archi

Ich mag die Gegend am Fondamenta S. Giobbe und der gleichnamigen Kirche. Manchmal ist sogar der Kirchen-Innenhof geöffnet und mit etwas Glück findet ein kleiner Flohmarkt für den guten Zweck statt.

Die Kirche ist leider auch nicht immer geöffnet, aber ich bin bereits drinnen gewesen und sie sieht ganz anders aus, als die meisten anderen. Aber das (mit einigen weiteren Kirchen in Venedig) ist eine andere Geschichte 🙂

Fondamenta x3: Cannaregio, Batelo, Capuzine

Inzwischen sind wir auf der anderen Kanalseite angekommen und spazieren entlang der des Kanals, durch enge Gassen bis wir an meinem 1. Zwischenziel angekommen sind.

Sobald ihr die Kapuzinerkirche seht, solltet ihr nach rechts schwenken, bis ihr am 1. Zwischenziel angekommen seid. Am Weg dort hin sind jede Menge kleine Bars, von denen die meisten auch ganz reizvoll ausgesehen haben und NICHT überbevölkert waren.

Aber meinen 1. Café nehme ich im Oficina Ormesini, das ich euch bereits vorgestellt habe.

Das jüdische Ghetto

Obwohl ich mich schon oft zwischen dem Parco Savorgnan und dem vorhin genannten 1. Fixpunkt für meinen Vormittagskaffee an der Fondamenta Ormesini herumgetrieben habe, den Campo di Ghetto Nuovo und die Gassen in der Nähe ganz bewusst besichtigen, das habe ich noch NIE!

Wie ihr sicher wisst, befinden wir uns im Sestiere Cannaregio. Auf der Karte könnt ihr gut sehen, dass es sich um eine kleine Insel handelt, die vom Rio del Gheto vom restlichen Gebiet abgetrennt wird.

Mehrere Jahrhunderte war dieses Wohngebiet nur für die jüdische Bevölkerung, bevor kurz vor 1800 Napoleon dem ein Ende machte.

Campo de Gheto Novo

Allein auf diesem Platz findet ihr 3 historische Synagogen

  • Scuola Grande Tedesca (Deutsche Schule) – die älteste Synagoge Venedigs,
  • Scuola Canton (Kantonsschule),
  • Scuola Italiana (Italienische Schule).
Hier seht ihr die italienische Scuola mit dem Säulenvorbau.

Insgesamt gibt es 5 zu entdecken, aber nur, wenn ihr genau schaut! Die anderen beiden sind die

  • Scuola Spagnola (spanische Schule) und die
  • Scuola Levantina (Levantinische Schule),

wobei letztere die Prachtvollste sein soll. Lasst euch also NICHT von der Außenansicht abhalten! Im Gegensatz zu katholischen Kirchen mussten sie dezent sein und sind daher oft in oder auf Wohnhäusern zu finden.

Von innen gesehen habe ich keine, denn dazu reichte diesmal meine Zeit nicht, aber ich denke, allein für diese Besichtigungen sollte ich mir einmal einen ganzen Tag reservieren. Solltet ihr das auch wollen, so merkt euch folgende Informationen vor.

Das Jüdische Museum (Museo Ebraico)

Wenn ihr schon mal hier seid, dann besucht doch auch das Museum, denn am Anfang und am Ende der Tour ist je eine der Synagogen.

Achtet aber darauf,

  • ob die umfangreichen Renovierungen schon abgeschlossen sind und bedenkt,
  • dass jüdische Ruhe- & Feiertage nicht zeitgleich mit unseren sind.

Entspannend fand ich hier am Platz, dass es nicht nur einen Trinkwasserbrunnen gibt, sondern auch Bänke im Schatten von Bäumen zum Ausruhen. Ich habe beides genutzt und obwohl die Besucher seit Beginn der Pandemie immer noch sehr auf Abstand bedacht sind, war immer Platz zum Sitzen.

Hier im Gheto novo lebten übrigens die ärmeren Bewohner und Pfandleiher, wobei im Gheto vecchio die Händler und Handwerker gewohnt haben. Das Gheto novissimo war überwiegend „nur“ ein Wohnviertel.

Falls ihr euch nun fragt, woher ich das alles weiß: Ich hatte das Glück, dass genau während meiner Rast auf der eben erwähnten Bank eine Reisegruppe direkt neben mir Erklärungen in Englisch erhalten hat. So bin ich einfach ein wenig länger sitzen geblieben und habe ungeplant Informationen bekommen.

Übrigens Gheto oder Ghetto, Scuola oder Scola sind keine Tippfehler von mir; das sind nur unterschiedliche Schreibweisen.

Vergessen wir die Vergangenheit nicht!

Es gibt an 2 Seiten Gedenktafeln (Relief zu den Deportationen & Das Holocaust-Mahnmal). Darüber hinaus könnt ihr wie in vielen Städten im ganzen Ghetto Stolpersteine finden. Der Stacheldraht auf der Mauer der Gedenkstätte soll an die über 200 Juden mahnen, die zu verschleppt wurden. Nur wenige kamen wieder …

Es ist ja traurig, dass Bewachung offensichtlich noch nötig ist, aber wie ihr sehen könnt, steht das Ghetto immer noch unter Militär- &  Polizeischutz. Die Beamten sind gerade zu ihrer Wache spaziert, die perspektivisch hinter dem Busch ist.

Alle die mich besser kennen wissen, dass ich uniformierte junge Männer gerne in meiner Nähe habe, denn das erinnert mich an meine eigene Vergangenheit, was wiederum positive Gefühle auslöst. Aber diese Geschichten bleiben offline 😁

Gegenwart und Zukunft im Ghetto

Bei all den Gedanken an die Vergangenheit darf man natürlich auch die Kinder und die Senioren nicht vergessen. Für mich war es besonders schön zu sehen, dass dieser Teil von Venedig noch wirklich belebt ist.

Besonders interessant fand ich den Kindergarten „Scuola Materna Comunale Raffalovich Comparetti„. Das Gebäude ist zwar nicht schön, aber die Geschichte dahinter!

Elena Raffalovich Comparetti (1842-1918)

Meine Namensvetterin war Pionierin der Kindererziehung, Verfechterin für Frauenrechte, Kosmopolitin und nicht zuletzt eine wohlhabende ukrainische Jüdin, die bereits in jungen Jahren nach Frankreich und später Italien ausgewandert war. Sie interessierte sich mit den Jahren immer mehr für Vorschulerziehung und hatte Kontakt mit Adolph Pick, der Kinder nach den Grundlagen von Fröbel und Pestalozzi erzog. 

Alles basierte auf kreativem Spiel wie Zeichnen und Basteln, aber auch Singen und Turnen wurden in den Tagesablauf eingebaut. Wichtig war der Gönnerin, dass alle Kinder – unabhängig von Geschlecht, Religion oder sozialem Stand – hier erste Bildung bekommen konnten. Sie, die Mutter einer Tochter, hat besonderen Wert darauf gelegt, dass Mädchen und Jungen zusammen das Gleiche lernen und spielen durften. Der Kindergarten war kostenlos! Wie unglaublich fortschrittlich vor 150 Jahren!

Jüdische Frauen – meist zugewandert – setzten den Grundstein für Kindergärten & Vorschulen, kindgerechte Bücher und Bildung im Allgemeinen im Italien um 1900.

Es gibt natürlich auch einen direkten Weg zum Campo di Ghetto Nuovo, aber ich liebe besonders in der Serenissima diese Umwege, die mir immer wieder neue Ecken der Stadt zeigen.

Wählt man die schnellste Möglichkeit vom Bahnhof, so sind es nur 800 m & 10 Minuten; ich hingegen habe gerne mit allen Umwegen, Besichtigungen und Getränkepausen einen halben Tag hier verbracht.

Falls ihr mehr Fakten über die Geschichte des Ghettos in Venedig wissen wollt, so hab ich keine bessere Zusammenfassung gefunden als bei Wikipedia!

Wollt ihr auch Innenaufnahmen vom Ghetto haben, so lest doch bei meiner sympathischen Blogger-Kollegin Gudrun (Reisebloggerin.at) nach und erfreut euch an den schönen Fotos!

Tanti Saluti

Elena


Offenlegung:

Wie so oft war auch dieser Spaziergang samt An- & Abreise vollkommen von mir selbst bezahlt.


 

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